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Die befremdliche Debatte über Gaucks Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr

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Am vergangenen Dienstag, den 12. Juni 2012 stattete Bundespräsident Gauck der Bundeswehr an der Führungsakademie in Hamburg seinen offiziellen Antrittsbesuch ab und wurde vor Ort von Verteidigungsminister de Maizière mit militärischen Ehren empfangen. Im voll besetzten Manfred-Wörner-Zentrum in der Clausewitz-Kaserne hielt er anschließend eine Grundsatzrede, die seither für lebhafte Diskussionen in Politik und Öffentlichkeit sorgt. Zu Recht?

Zunächst als Grundlage einige Verweise auf den offiziellen Bericht der Führungsakademie der Bundeswehr, auf den offiziellen Redetext vom Bundespräsidialamt und auf einen Audio-Mitschnitt der Rede.

Gauck würdigte die Bundeswehr im Vergleich zur dunklen Vergangenheit der Wehrmacht und zur selbst erlebten DDR-Vergangenheit als Stütze der Freiheit und als Parlamentsarmee, die an demokratische Werte, das Soldatengesetz und das Grundgesetz gebunden sei und sich aus eigenverantwortlichen, kritischen und aufopferungsvollen “Mut-Bürgern” zusammensetze. Diese Würdigung der Soldaten verband Gauck mit einer harschen Kritik an Gleichgültigkeit, “Nicht-Wissen-Wollen” und Hedonismus in der deutschen Gesellschaft hinsichtlich demokratischer, gesellschaftlicher Verantwortung und hinsichtlich eines weitsichtigen Bewusstseins für Sicherheit und Militär. Der entsprechende Absatz der Rede lautet im Wortlaut:

“Die Abscheu gegen Gewalt ist verständlich. Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden. Allerdings müssen wir militärische Einsätze begründen. Wir müssen diskutieren: darüber, ob sie die gewünschten Ziele erreichen oder schlimmstenfalls neue Gewalt erschaffen, und auch darüber, ob wir im Einzelfall die Mittel haben, die für ein sinnvolles Eingreifen nötig sind. All diese Fragen gehören – mit den handelnden Personen – in die Mitte unserer Gesellschaft. [...]

Freiheit ist ohne Verantwortung nicht zu haben. Für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, ist diese Haltung selbstverständlich. Ist sie es auch in unserer Gesellschaft? Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld von Staat und Demokratie. Manche verwechseln Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit und Hedonismus. Andere sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls auch vehement einzufordern. Und vergessen dabei allzu gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz erfordert, Aufmerksamkeit, Mut, und manchmal auch das Äußerste, was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben.” (fueakbw.de, 12.06.2012)

Wahrscheinlich erfreut jeden Bundeswehrangehörigen die Deutlichkeit dieser Aussage, die über die damalige Anprangerung des “freundlichen Desinteresses der deutschen Gesellschaft für die Bundeswehr” Horst Köhlers noch weit hinaus geht. Nichtsdestoweniger hat dieser verbale Spiegel, den Gauck einigen Mitbürgen mit dieser Aussage vor das Gesicht gehalten hat, neben Lob aus der Bundeswehr, der Koalition und der Opposition auch Entrüstungsstürme ausgelöst. Katja Kipping, Vorsitzende der Linkspartei, wertet Gaucks Aussagen als “Kriegspropaganda”. Ebenso zeigten sich Ströbele von den Grünen und Danckert von der SPD skeptisch. Insbesondere die schwerwiegenden Vorwürfe von Vergnügungssucht und Hedonismus an die Menschen seien nicht akzeptabel. Hat Gauck also ein verzerrtes Menschenbild und einen falschen Eindruck von unserer Gesellschaft? Gewiss nicht!

Das populistische Argument der Kriegspropaganda hält einer Betrachtung der gesamten Rede und einer Einordnung in das Leben, Wirken und Denken Joachim Gaucks nicht stand. Die harsche Gesellschaftskritik dagegen ist äußerst tiefgründig und lädt zu Gegendarstellungen und Debatten ein. Die Feststellung, Freiheit sei ohne Verantwortung nicht denkbar, bringt das demokratische Selbstverständnis unserer Gesellschaft meines Erachtens auf den Punkt. Demokratie lebt von politischer Teilhabe und sozialem Miteinander, von Verantwortung, Engagement, Zivilcourage und Pflichtbewusstsein und von Menschen, die auch ihr Leben für die Gesellschaft einsetzen, ob nun militärisch oder zivilgesellschaftlich. Leider scheinen diese Werte zunehmend zu verblassen.

Ebenso bedingen sich Sicherheit und Freiheit gegenseitig. Ohne Freiheit keine Sicherheit; Ohne Sicherheit keine Freiheit. Sicherheit und Frieden werden hierzulande allerdings immer stärker als Naturzustand angesehen. Bequemlichkeit, eine “Nicht-Wissen-Wollen- Mentalität” und ein “Das-betrifft-mich-nicht-Denken” über Krisen, Kriege und Katastrophen außerhalb von Europa machen sich breit. In der Konsum- und Vergnügungsgesellschaft, wenn man diesen Topoi aus der Sozialwissenschaft denn folgt, ist eben kein Platz für die diversen Probleme in der Welt. Dabei wird schnell vergessen, wie nah diese Krisenherde oftmals sind und wie rapide sie sich auch hierzulande auswirken können. Sicherlich denken nicht alle Deutschen so, aber dennoch gibt es einen nicht zu vernachlässigenden Anteil, der meines Erachtens wächst.

Der Ignoranz und Uneinsichtigkeit mancher egoistischer Menschen in diesem Land gilt es entgegenzutreten. Insofern würde ich die Rede des Bundespräsidenten nicht alleine auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr oder auf das Ansehen der Streitkräfte in der Öffentlichkeit beziehen. Es ist eine allgemeine Gesellschaftskritik, die nicht so einfach von der Hand zu weisen ist. Die Rede zeigt Wirkung. Öffentlichkeitswirksame Debatten, wie sie nun geführt werden, sind ein Weg zur Lösung des Problems, zur Wiederentdeckung der Notwendigkeit gesellschaftlicher Teilhabe, solange sie konstruktiv und vernunftgeleitet geführt werden. Fadenscheinige Argumente von Militarismus und Kriegspropaganda hingegen bleiben in diesem Kontext zu Recht blass und dürftig.

Zum Abschluss möchte ich eine kleine Anekdote loswerden, die ich in dieser Woche im Bus zu hören bekommen habe. Dort unterhielten sich zwei Frauen über die Bundeswehr und stellten einhellig fest: “Die können sie auch abschaffen. In Deutschland gibt es eh keinen Krieg mehr. Und wenn doch, dann wird sowieso eine Atombombe geworfen und nichts bleibt mehr stehen. Dann braucht man die Bundeswehr höchstens, um alles wieder aufzubauen.” In diesem Sinne.


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